Freitag, 6. Mai 2016

Die Sache mit den Grenzen...

Warum meine Kinder Grenzen kennen.



Wie ich bereits andeutete, wachsen meine Kinder "unerzogen" auf.

"Unerzogen? Ja wat is dat dann? Kinner brauchen doch Jrenzen. Sonst wissen se doch öberhaupt nich, wie dat Leben so läuft!"

Hierzu ein klares: jein!

Selbstverständlich erleben Kinder Grenzen. Auch meine Kinder! Der feine Unterschied ist der, dass ich hier nicht auf irgendwelche von unserer Gesellschaft "erfundenen" Morälchen poche. Ich stecke meine Kinder nicht in einen willkürlich auf unser soziales Umfeld zugeschnittenen Rahmen, sondern bewege mich mit ihnen gemeinsam im Bereich dessen, was ein angenehmes Zusammenleben ermöglicht.

Ich setze meinen Kindern keine Grenzen, nur, damit sie lernen wie das so ist, wenn man begrenzt wird.
Ich konfrontiere meine Kinder nicht mit "Nein's", nur, um sie auf die harte Realiät vorzubereiten, in der man ja auch nicht alles durchsetzen kann.
Ich bin nicht der Meinung, dass Kinder erfundene Grenzen "brauchen", um sich nicht zu Tyrannen oder Schmarotzern zu entwickeln.

Dennoch kennen meine Kinder Grenzen.

1. Monetäre Grenzen


Ich bin nicht reich. Genau genommen habe ich sogar ziemlich wenig Geld. Meine Kinder haben noch keine Vorstellung vom Wert des Geldes, von Währungen und von Preisen.

Wenn mein Mausbär (3,5 Jahre alt) in der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses auf die teure Holzeisenbahn  für 429,99 EUR zeigt und mit großen, hoffnungsvollen Augen sagt: "Die bringe ich zur Kasse, die müssen wir erst bezahlen!", dann möchte ich am liebsten sagen: "Ja, Schatz, genau so machen wir's."

Leider ist es mir nicht möglich, all diese großen und kleinen Wünsche zu erfüllen. Aber wenn es möglich wäre, würde ich es ohne mit der Wimper zu zucken tun!

Man (wer ist "man" und warum kommt er in meinem Blogpost vor?) kann mir glauben oder nicht:
mein Sohn WEIß, dass ich ihn nicht aus erzieherischen oder ähnlich willkürlichen Gründen um seinen großen Wunsch bringen würde. Noch nie (!) hatten wir Tränen oder Wut in einem Supermarktgang wenn ich sagte: "Nein, das kann ich Dir nicht kaufen, ich habe nicht genügend Geld dabei." oder "Nein, das möchte ich Dir nicht kaufen, weil das Geld diesen Monat nicht dafür reicht."

Natürlich ist er dann traurig. Diese Enttäuschung nehme ich ernst und sage ihm das auch. Er versteht langsam, dass wir da gemeinsam an eine Grenze stoßen. An die monetäre Grenze.

2. Physikalische Grenzen


Mausbär springt derzeit gern vom Hocker auf das Sofa. Er macht dann gern eine Ar***bombe. Manchmal holt er nicht genügend Schwung, springt nicht weit genug und erwischt mit dem Steiß statt der weichen Sitzfläche der Couch noch die harte Holzplatte des Hockers. Das schmerzt.

"Aber ich wollte doch weiter fliegen..." schluchzt er dann. "Ja, mein Sohn, das habe ich gesehen. Dir ist aber lediglich ein Sprung mit Schwung möglich. Fliegen kannst Du nicht, aber springen."

Er KANN nicht fliegen. So wenig erzieherischen Rahmen er auch gesetzt bekommt, so frei er sich in seinem Universum bewegen darf. Er KANN die Naturgesetze nicht außer Kraft setzen. Es gibt sie, diese physikalischen Grenzen.


3. Physische Grenzen


"Nach fünf Eis ist schluss!"

Das sage nicht ich, das sagt Mausbärs Magen.

"Nach acht Stunden toben im Garten mit den Hunden und mit Cousine E. wird aber geschlafen!"

Das sage nicht ich, das sagen Mausbärs Augen und fallen einfach zu.

"Ein krankes Kind gehört nicht auf's Trampolin!"

Das sage nicht ich, das sagt Mausbärs fiebernder kleiner Körper.


Die genannten drei Typen von Grenzen sind allesamt wenig beeinflussbar durch mich oder irgendjemanden sonst. Gut, bei Typ 1 könnte ich mich um einen großen Lottogewinn bemühen. Ich spreche hier aber gerade von der Realität.

Dann gibt es noch zwei Arten von Grenzen, die meine Söhne direkt durch mich oder andere Lebenwesen erfahren.

4. Grenzen der Sicherheit


Wenn ich mich mit anderen Menschen über meine Art, meine Kinder ins Leben zu begleiten, unterhalte und davon spreche, dass meine Kinder viel selbstbestimmt agieren dürfen, kommt immer (mit debil-überlegenem Lächeln á la "ha! Jetzt hab ich die Olle in die Falle gelockt!") der Spruch: "So so. Also dann würdest Du Dein Kind auch auf der Autobahn Fußball spielen lassen. Weil Du ihm ja nix verbietest"  (Selbstgefälliges Lächeln in die Runde)

Ich: "Ja, natürlich würde ich das! Sofern die Autobahn abgesperrt ist und keinerlei Verkehr fließt. Ich liebe meine Kinder und möchte nicht, dass ihnen etwas zustößt."

Ihr lieben Zweifler:

Nein, ich lasse mein Kind nicht in den Topf mit brodelndem Nudelwasser greifen.
Nein, ich lasse mein Kind nicht mit einem Regenschirm vom Dach springen. (Ohne Regenschirm auch nicht!)
Nein, ich lasse mein Kind nicht auf der Autobahn Fußball spielen.

Diese und noch einige Aktivitäten mehr unterbinde ich nicht, weil ich denke, dass sie aus meinem Sohn einen schlechteren Menschen machen oder ihn gesellschaftsunfähig werden lassen. Ich unterbinde sie, weil ich nicht möchte, dass meinem Kind etwas schreckliches zustößt.

Ja, ich setze meinem Kind damit eine Grenze. Aber diese ist weder willkürlich, noch aus dubiosen gesellschaftlichen Konventionen entstanden.

5. Grenzen anderer Lebewesen


Kinder sind kooperativ. Wer sich die Zeit nimmt, dies festzustellen, wird mir zustimmen.
Kinder sind aufmerksam und zugewandt. Nicht 24 Stunden am Tag, aber von ihrer Grundhaltung her.

Ich lebe mit meinen Kindern eng zusammen. Damit diese Gemeinschaft für alle angenehm ist, wünsche ich mir, dass wir gemeinsam darauf achten, dass sich jeder von uns wohl fühlt. Dass sich jeder von uns gesehen, wertgeschätzt und respektiert fühlt. Und zwar sowohl Erwachsene, als auch Kinder, als auch Haustiere. Hier in unserem Mikrokosmos "Familie" können meine Kinder erste Erfahrungen sammeln, wie das Zusammentreffen mit verschiedenen Individuen und deren Bedürfnissen, Wünschen, persönlichen Vorlieben vonstatten gehen kann. Und in diesem Zusammenleben stoßen wir auch auf die persönlichen Grenzen des anderen.

Bei meinem Mann (C., 38 Jahre alt) ist so eine Grenze das Erkunden von Lebensmitteln. Er findet es wichtig und richtig, wenn unser Hutz (8 Monate) sein Essen selber untersuchen und zum Mund führen kann (Stichwort: baby-led weaning). Das Gematsche, welches dabei entsteht, findet C. ganz fürchterlich. Noch fürchterlicher findet er es, wenn er selber Teil der Matschlandschaft wird, wenn also Süßkartoffelstücke auf seinen Hausschuh fallen oder die bereits eine halbe Stunde durchgelutschte Dinkelstange wie ein Orden auf seine Schulter geklebt wird.

Ich könnte sagen: "Meine Güte, stellt der Herr sich aber an!" (denn ehrlich gesagt ist das oft das, was ich denke). Ich akzeptiere jedoch diese innere Grenze bei ihm. Und der Hutz wird sie auch irgendwann kennen und akzeptieren und ihm kein oral selbsthergestelltes Erbsenpürree in den Ärmel massieren. Unser großer Mausbär weiß jedenfalls: "Wenn ich etwas im Mund habe, dessen ich überdrüssig geworden bin, spucke ich es entweder in Mamas Handfläche oder auf ihren Teller, oder (wenn Mama oder ihr Teller gerade nicht greifbar sind) in ein (man lese und staune) Taschentuch."

Klare Regeln persönliche Grenzen betreffend gibt es in Bezug auf die Hunde. Ich möchte nicht, dass meine Hunde bedrängt oder verängstigt werden. Ich möchte weder, dass sie Schmerzen erleiden, noch, dass sie sich bei uns nicht mehr wohl fühlen. Wenn die Hunde sich zurückziehen, wahre ich ihren Wunsch nach Ruhe und kommuniziere dies als Grenze gegenüber meinen Söhnen.

Unser Zusammenleben hier gestaltet sich so, dass wir uns in einem von uns allen gemeinsam errichteten, dynamisch-flexiblen Rahmen bewegen, der es uns ermöglicht, uns miteinander wohl zu fühlen.




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